Deutschland
Die Corona-Pandemie bestimmt derzeit die gesamte Weltwirtschaft. Nur dem recht guten Jahresauftakt ist es zu verdanken, dass die deutsche Wirtschaft im 1. Quartal 2020 um lediglich 2,2% gegenüber dem Vorquartal sank. Wegen einer breiten Anwendung von Tests und hoher Kapazitäten im Gesundheitssektor waren die Schutzmaßnahmen von kürzerer Dauer und weniger streng als in anderen großen europäischen Volkswirtschaften. Dies hat den Konjunkturabschwung zwar gemildert, die Unsicherheit und die geringere Nachfrage haben jedoch in den Schlüsselsektoren, vor allem im Verarbeitenden Gewerbe, für erhebliche Auswirkungen auf die (Ausrüstungs-)Investitionen (-6,9%) und Exporttätigkeit (-3,1%) der Unternehmen gesorgt. Auch die Dienstleistungsbereiche waren infolge behördlicher Maßnahmen und privater Verhaltensanpassungen schlagartig mit starken Einschränkungen konfrontiert. Der private Konsum schrumpfte laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) im 1. Quartal 2020 um 3,2%. Hingegen wirkten die Bauinvestitionen und der Staatskonsum stabilisierend. Im 2. Quartal 2020 dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) laut dem Institut für Weltwirtschaft (IfW) drastisch um voraussichtlich 12% sinken. Damit markiert die Corona-Krise den schärfsten Wirtschaftseinbruch seit Bestehen der Bundesrepublik und hat die deutsche Wirtschaft in eine tiefe Rezession geführt. Der Einbruch ging auch auf die privaten Konsumausgaben zurück, die sonst ein stabilisierender Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung sind. Das IfW rechnet für das 2. Quartal 2020 mit einem historischen Konsumrückgang von 13%. Im Exportgeschäft kam es ebenfalls zu drastischen Einbußen. So gaben die Ausfuhren während des Lockdowns fast ein Viertel ihres Vormonatswerts ab, konnten aber im Mai einen Anstieg von 9,0% verzeichnen, was immer noch 29,7% unter dem Vorjahresmonat liegt. Parallel dazu hat sich die Stimmung in den Unternehmen stark verdüstert. Der ifo-Geschäftsklimaindex fiel von 96,0 Punkten zum Jahresbeginn auf 74,3 im April. Inzwischen hellt sich die Stimmung wieder auf und im Juni konnte mit 86,2 der stärkste jemals gemessene Anstieg verzeichnet werden. Der Konjunktureinbruch und die pandemiebedingten Einschränkungen trafen den Arbeitsmarkt massiv. Auch wenn diese durch die staatlich geförderte Kurzarbeit abgefedert wurden, ist die Arbeitslosenzahl von Mai auf Juni infolge der Corona-Krise deutlich angewachsen, wenn auch erneut schwächer als im Vormonat. Die Arbeitslosenquote stieg um 0,1 Prozentpunkte auf 6,2% und verzeichnete im Vergleich zum Juni des vorigen Jahres ein Plus von 1,3 Prozentpunkten. Die Inflationsrate betrug laut Destatis im Juni 0,9%, während diese in den ersten Monaten des Jahres noch bei 1,7% lag. Insbesondere die Preise für Verkehr, Telekommunikation, Bildung und Kultur sind gesunken, während die Preise für Nahrung und Dienstleistungen gestiegen sind.
Die deutsche Wirtschaft fasst nach dem Corona-bedingten Einbruch nur allmählich wieder Tritt. Zwar scheint die Talsohle zunächst durchschritten, allerdings wird die vollständige Erholung von der Krise einige Zeit in Anspruch nehmen. So sind wichtige Abnehmerländer von der Corona-Pandemie wirtschaftlich stärker betroffen als Deutschland, sodass die Exporte nur nach und nach wieder anziehen. Dabei werden sich Unternehmen im In- und Ausland wohl noch für geraume Zeit mit Investitionen zurückhalten, da über den weiteren Fortgang der Pandemie weiterhin eine hohe Unsicherheit herrscht und die Eigenkapitalbasis vieler Unternehmen durch die Absatzflaute angegriffen wird. Etwas rascher dürften sich die privaten Konsumausgaben erholen, auch weil die während des Lockdowns sprunghaft gestiegene Sparquote mit den Lockerungen nach und nach wieder zurückgehen dürfte und zurückgestaute Kaufkraft nachfragewirksam wird. Allerdings hat ein Teil der privaten Haushalte Einkommensverluste erlitten und größere Anschaffungen könnten auch angesichts der gestiegenen Arbeitsplatzunsicherheit verschoben werden.
Je nach Wirtschaftsinstitut geht die Prognose des BIP für 2020 weit auseinander. Während das Hamburgische Weltinstitut mit einem Rückgang von nur 5,0% rechnet, geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) von einer Verminderung um 9,4% im Vergleich zum Vorjahr aus. Angesichts des weltweit asynchronen Verlaufs der Corona-Pandemie und der Einschränkungen des Welthandels werde die Erholung nicht so dynamisch ausfallen wie erhofft, glaubt auch die Deutsche Bank (DB Research) und rechnet mit rund -9%. Das IfW erwartet in der zweiten Jahreshälfte ein etwas kräftigeres Wiederanziehen der Produktion, auch aufgrund der Impulse des jüngsten Konjunkturpakets inklusive der Mehrwertsteuersenkung. Insgesamt rechnet das IfW für 2020 mit einem Rückgang des BIP um 6,8% und einem Anstieg 2021 um 6,3%. Der Ausblick für die weitere wirtschaftliche Entwicklung unterliegt allerdings großen Fragezeichen. Sollte die Anzahl der Neuinfektionen wieder deutlich ansteigen, könnte dies zu einer neuerlichen Verunsicherung der wirtschaftlichen Akteure führen, insbesondere dann, wenn möglicherweise notwendige, erneute Einschränkungen die wirtschaftliche Erholung bremsen.
Der Arbeitsmarkt wird sich bis Ende 2021 kaum vollständig erholen und die Arbeitslosenquote bei rund 6% verharren. Die Kapazitätsüberhänge werden dazu beitragen, dass die Inflation in nächster Zeit weiter auf niedrigem Niveau verharrt. Das IfW geht für 2020 von einem Anstieg der Verbraucherpreise um 0,7% aus, wobei im Folgejahr vor allem der umgekehrte Mehrwertsteuereffekt zu Buche schlagen dürfte (2021: 2,7%).
Die Regierung hat Anti-Krisenpakete in noch nie dagewesenem Ausmaß aufgelegt. Der deutsche Staat setzt dabei nicht nur auf einen Mix aus öffentlichen Subventionen, zusätzlichen Gesundheitsausgaben, steuerlichen Erleichterungen und dem arbeitsmarktpolitischen Instrument der Kurzarbeit, sondern stemmt sich auch mit umfangreichen öffentlichen Garantien und großvolumigen Beteiligungs- und Kreditprogrammen gegen den wirtschaftlichen Abwärtstrend. Damit schnellt die Schuldenquote enorm nach oben, die nach Berechnungen der Deutschen Bank (DB Research) je nach Szenario bis Ende 2021 zwischen 82 und knapp 100% des BIP liegen könnte.
Die Entwicklung der Wirtschaftsleistung hat Einfluss auf das verfügbare Einkommen der Privathaushalte und stellt daher einen wichtigen Faktor in der Nachfrage nach Wohnen als Konsum- und Investitionsgut dar. Nach jahrelangem Boom läutet die aktuelle Pandemie eine neue Phase für den deutschen Wohnimmobilienmarkt ein. Die Auswirkungen sind dabei vielfältig, es gibt sowohl preisbelastende als auch unterstützende Effekte. Die Prognoseunsicherheit ist derzeit außergewöhnlich hoch. Jüngste Daten signalisieren bislang eine stabile bis positive Preistendenz, berichten die Experten der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Massive Wertverluste, Insolvenzen zentraler Marktteilnehmer und eine unumkehrbare Veränderung der Marktverhältnisse sind laut Immobilienverband IVD nach jetzigem Stand auf dem Wohnimmobilienmarkt nicht zu erwarten. Auch in Krisenzeiten bleibt die generelle Nachfrage im Wohnsektor hoch und kann in einer Vielzahl der deutschen Städte weiterhin nicht gedeckt werden, bestätigt das Immobilienberatungsunternehmen NAIapollo. Wie Destatis mitteilt, hat die wachsende Bevölkerung vor allem in den Großstädten in den vergangenen Jahren den Druck auf den Wohnungsmarkt erhöht. 2018 lebten in Deutschland 2,5 Millionen Menschen mehr als noch 2012 und die Bevölkerungszahl ist auch 2019 gestiegen. Die Großstädte wuchsen dabei überproportional durch Zuzug vor allem junger Menschen. Der Zuzug ist nicht ungebrochen; laut dem Forschungs- und Beratungsinstitut empirica sinkt die Zuwanderung in die sogenannten Schwarmstädte. Zuzugswillige weichen in nahe gelegene, aber weniger attraktive und daher preiswertere Städte bzw. das Umland aus. Zwar beginnt laut GdW dank des Neubaus auf einigen Wohnungsmärkten eine Entspannung zu greifen, dennoch bleibt der Bedarf an Neubauwohnungen vor allem in den beliebten Ballungsregionen weiter hoch. Hier sind die Wohnungsmärkte weiterhin dauerhaft angespannt. Dabei gibt es innerhalb Deutschlands regionale Unterschiede. Der Wohnungsknappheit in den Metropolräumen und Universitätsstädten stehen die schrumpfenden Regionen mit ihren besonderen Herausforderungen gegenüber. Da sich der zusätzliche Wohnungsbedarf vor allem aus der Zuwanderung ergibt, muss deren zukünftige Entwicklung infolge der Corona-Krise genau beobachtet werden. Kurzfristig gibt es vermutlich geringere Zuwanderung z.B. wegen der Grenzschließungen, langfristig könnte in den deutschen Metropolen zusätzliche Wohnungsnachfrage durch Zuwanderer aus der wirtschaftlich geschwächten europäischen Peripherie entstehen.
Die Bautätigkeit zog zuletzt weiter an. 2019 wurden laut Destatis rund 293.000 neue Wohnungen fertig gestellt. Das waren rund 2% mehr als im Vorjahr, die Gesamtzahl bleibt aber weiter hinter den laut GdW jährlich benötigten 320.000 neuen Wohnungen zurück. Laut DB Research dürften die bekannten Ursachen wie z. B. Baulandmangel und komplexe Vorschriften über Jahre hinaus fortbestehen. Viele Indizes zeigen zwar, dass die Bauwirtschaft relativ wenige Einschränkungen während der Lockdown-Monate zu verkraften hatte, in der Zeit der Corona-Krise wird sich aber nach Ansicht des GdW voraussichtlich ein Rückgang der Zahl der Baugenehmigungen ergeben, da die Bauämter in den vergangenen Monaten nur eingeschränkt einsatzfähig waren.
Die Angebotskaufpreise für Wohnungen im Bestand (kein Neubau) zeigen sich unbeeindruckt von der aktuellen Corona-Lage, berichten die Experten von empirica-systeme nach Auswertung ihrer Marktdatenbank. Die Kaufpreise für Wohnungen steigen im bundesweiten Mittel weiter an, im Vergleich zum jeweiligen Vorquartal im 1. Quartal 2020 um 3,1% und im 2. Quartal 2020 um rund 3%. Die Wohnungsmieten entwickeln sich erneut weniger dynamisch als die Kaufpreise. Die Angebotsmieten für Wohnungen im Bestand (kein Neubau) stiegen gegenüber dem Vorquartal im 1. Quartal 2020 um 0,7% und im 2. Quartal 2020 bundesweit um 0,4%. Sie bewegen sich damit kaum noch und setzen den abflachenden Trend der Vorquartale fort. Die Entwicklungen sind allerdings sehr heterogen. Die Experten von Immowelt berichten z. B. von Entspannungen in manchen Universitätsstädten. Während viele Hochschulen auf Online-Lehrbetrieb umgestellt haben, suchen z. B. weniger Erstsemester neue Wohnungen. Das wirke sich anscheinend bereits auf den Mietmarkt von Städten mit traditionell hohem Studierendenanteil aus. Laut dem Immobiliendienstleister CBRE gab es im Wohnsektor in Deutschland bisher nur geringe Mietstundungen und so gut wie keine Mietausfälle. Bisher sind laut den Experten von empirica-systeme keine Corona-bedingten Preiseffekte feststellbar, lediglich begrenzte Mengeneffekte haben den Markt vor allem während des Lockdowns geprägt. Frühindikatoren deuten darauf hin, dass auch im 3. Quartal 2020 keine Preiskorrektur zu erwarten ist. Die weitere Entwicklung am Wohnimmobilienmarkt hängt laut NAIapollo von der Stärke, Breite und Dauer eines wirtschaftlichen Abschwungs ab. Nach Einschätzung von DB Research dauert der Hauspreiszyklus wenigstens bis zum Jahr 2022 an. Wesentliche Gründe, die dem Zyklus ein früheres Ende setzen könnten, sind neben einer lang anhaltenden Corona-Krise eine noch striktere Mietenpolitik sowie ein stärkerer makroprudenzieller Gegenwind nach der Corona-Krise. Der empirica-Blasenindex für Deutschland zeigt im 1. Quartal 2020 für 301 von 401 Landkreisen und kreisfreien Städten eine mäßige bis hohe Blasengefahr.
Wie CBRE berichtet, zeigt sich der deutsche Wohninvestmentmarkt unbeeindruckt von COVID-19. Das Transaktionsvolumen lag im 1. Halbjahr 2020 bei rund 12,5 Mrd. €, und damit 87% höher als im 1. Halbjahr 2019. Das ist vor allem auf die Übernahme von Adler Real Estate durch Ado Properties mit rund 6 Mrd. € im 1. Quartal 2020 zurückzuführen. Vor dem Hintergrund der Krise hat der Nachfragedruck nach Wohnimmobilien am Investmentmarkt weiter zugenommen, da auf dem Wohnsektor Investoren aktiv wurden, die bisher stärker auf Gewerbeimmobilien fokussiert waren. Angesichts einer gut gefüllten Pipeline kann bis Ende 2020 ein Transaktionsvolumen von bis zu 20 Mrd. € erreicht werden.
Die Entwicklung auf den Wohnungsmärkten stellt die Wohnungspolitik vor große Herausforderungen. So wurde z. B. mit dem Ziel einer Dämpfung des Mietanstiegs 2019 vom Bundestag die Ausweitung des Betrachtungszeitraums bei der Erstellung von Mietspiegeln von vier auf sechs Jahre beschlossen. Die Änderung trat zum 1. Januar 2020 in Kraft. Im Februar 2020 wurde vom Bundestag eine Verschärfung und Verlängerung der Mietpreisbremse bis 2025 beschlossen. Haushalte mit niedrigem Einkommen erhalten dank der Wohngeldreform seit 1. Januar 2020 mehr Wohngeld. Investitionen in die energetische Sanierung selbstgenutzter Wohnimmobilien werden seit 2020 zeitlich befristet steuerlich gefördert. Im Februar 2020 trat das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin, der sogenannte Mietendeckel, in Kraft. Kern des Gesetzes, an dessen Verfassungskonformität Zweifel bestehen, ist die öffentlich-rechtliche Begrenzung der Mieten in Berlin für fünf Jahre. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird dazu nicht vor Anfang 2021 erwartet.
Zu den Sofortmaßnahmen von Bund und Ländern im Zuge der Corona-Pandemie zählt vor allem der zeitlich befristete Kündigungsausschluss wegen Mietschulden. Zusätzlich zeigen viele größere institutionelle Vermieter die Bereitschaft, temporär auf Zwangsräumungen und Mieterhöhungen zu verzichten. Weitere Gesetzesvorhaben mit Relevanz für die Immobilienbranche sind z. B. die beabsichtigte Änderung der Grunderwerbsteuer, mit der Share-Deals unattraktiver gemacht werden sollen, sowie das geplante Baulandmobilisierungsgesetz, mit dem etwa das Baurecht verschärft und Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen erschwert werden sollen.